Es ist mittlerweile für viele LeserInnen nichts neues mehr: Ich habe ein lautes und ein leises Kind. Die laute Kleine, die mit Karacho auf die Welt kam und seitdem immer wieder versucht, den Ton anzugeben. Die lautesten Töne kommen definitv von ihr, gepaart mit starkem Kopf und dem Willen, Wände einzureissen, wenn die Tür in ihren Augen zu langsam aufgeht.
Die leise Große, die zaghaft auf die Welt wollte, mehrere Anläufe und am Ende viel Hilfe brauchte. Die, die heute leise wird, wenn ihr etwas nicht stimmig vorkommt. Sie zieht sich zurück und merkt schnell, dass sie gerade nicht den Ton angeben kann, weil ihrer einfach nicht gehört wird. Die freiwillig zurückzustecken scheint, wenn ihre Schwester wieder dabei ist, alles zu vereinnahmen. Die, die mit dieser Art theoretisch unter gehen könnte – bis sie irgendwann platzt.
Leise Kinder gehen unter?
Denn nur, weil man ein ruhiger Typ ist, Menschen und Situationen länger beobachtet und eher zurückschreckt und auch zurücksteckt, heißt es nicht, dass all die Emotionen und Eindrücke still verarbeitet und korrekt eingeordnet werden. Nein! Sie stauen sich an, fangen langsam an zu kochen und platzen dann einfach aus einem raus. Dann ist der Strumpf, der nicht richtig über den Zeh geht, der Auslöser, Mama die Übeltäterin und die kleine Schwester so doof, dass sie eine Backpfeife verdient. Dann ist jede Haferflocke zu viel im Müsli und das Licht am Morgen zu hell.
Ist das Feuer erstmal entfacht, habe ich als Mutter viele Möglichkeiten. Ich könnte mein Kind beruhigen, den Auslöser abstellen und erwarten, dass es damit getan ist. Ich könnte versuchen, die Emotionen meines Kindes als „Typisch für Vierjährige“ abzutun, ihr erklären, dass sie sich doch bitte zusammenreissen soll wegen einer dummen Socke und damit das alles unter Erledigt ablegen. Glaubt mir, beides habe ich versucht, doch der nächste Ausbruch folgte bald. Oder aber, ich entscheide mich für die dritte Variante:
Was ist der wahre Auslöser?
Ich trete einen Schritt zurück. Nicht nur in der aktuellen Situation, sondern auch mit einem Blick auf die letzten Tage. Ist es wirklich die Socke am Zeh hängend, die diese Wut auslöst? Oder ist es der zehnte Hexspruch der Zweijährigen, der die Geschichte der großen Schwester immer und immer wieder unterbricht? Ist es das Puzzle, was die Zweijährige in ihrer rockigen Art zerstörte, obwohl ich es in den Augen der Vierjährigen noch nicht würdigen konnte? Oder war es das Bild für die Oma, was die kleine Schwester einfach bemalte? Und überhaupt: Habe ich als Mutter in den letzten Tagen auch genug mit der Großen gekuschelt? Das ist etwas, was die Zweijährige laut einfordert, die Vierjährige aber stumm erwartet.
Oft ist es ein Mix aus all diesen Situationen und noch vielen mehr, in denen die Große zu kurz kam, nicht wahrgenommen wurde oder nicht aussprechen durfte. Da wurden unbewusst Welten übergangen, ruhige Welten. Weil das Kind in dem Moment vielleicht nichts sagt oder eben zu leise ist. Gegenüber ihrer Schwester und auch im Alltag. Denn auch der Alltag kann für uns laut und einnehmend sein – egal ob zwei, vier oder Mitte dreißig Jahre alt.
Bedürfnisse sind Bedürfnisse, ob leise oder laut
Trete ich dann wieder in die Situation, die das Fass zum überlaufen brachte, weiß ich so viel mehr über meine große Tochter. Ich weiß, dass sie eine rücksichtsvolle große Schwester ist. Ich sehe, dass sie versucht, Mama zu entlasten und dass sie versucht „die Große“ zu sein. Doch am Ende weiß ich, dass sie auch da ist, allein und als eigenständige Person – mit all ihren Bedürfnissen, Wünschen und Forderungen. Die sind nicht so laut wie die ihrer Schwester, aber sie sind deswegen nicht weg. Und es ist nicht unbedingt die Aufgabe einer Vierjährigen, lauter zu werden und sich einzufordern. Diese Lektion wird sie irgendwann ereilen. Aber nicht jetzt! Jetzt ist es meine Aufgabe als Mutter, hinzuhören, auch auf die leisen Töne in der Familie. Hinzusehen, auch auf die kleinste Mimik. Anzunehmen, dass es manchmal nicht anders geht. Und vor allem: Zu reagieren, auf diese fast stummen Töne und ihnen den Raum geben, den sie brauchen. Sei es mit der Schwester, oder allein.
Unsere Wege für Exklusivzeiten mit Kindern
Wertschätzung, auch wenn andere lauter sind: Zeigt mir meine Große ein Bild, ein Puzzle oder anderes, reagiere ich direkt darauf bzw. versuche ich es. Auch wenn die Kleine auf meinem Arm ist oder gern JETZT in dem Moment was sagen muss, zeige ich ihr auf, dass nun ihre Schwester dran ist. So merkt nicht nur die Große, dass ich sie sehe. Auch ihre Schwester muss lernen, dass sie warten kann bzw. nicht dazwischen reden sollte. Im Rahmen für Zweijährige natürlich.Nein, diese Methode ist nicht immer erfolgreich. Aber ich sehe es auch weniger als Methode. Es ist ein Prozess, der sich entwickelt. Ein Zeichen, das jeder ungestört reden darf und gesehen wird.
Auch kleine Momente füllen den Akku: Die kleine Schwester schaut ein Buch an, hört gebannt ein Hörspiel oder spielt mit Papa? Eine gute Gelegenheit, mit der Vierjährigen im Nebenzimmer ungestört zu spielen, zu malen oder zu reden. In Spielsituationen oder beim Malen ergeben sich für uns neue Blickwinkel, weil das Kind ihre Erlebnisse und Gefühle darin verpackt. Man muss nur hinhören und schauen. Sie fühlt sich gesehen und ich sehe mein Kind in der Tat besser und klarer.
Kurze Exklusivzeiten für nur ein Kind: Neulich hatte ich spontan früher Zeit, da ein Termin nicht so lang dauerte wie gedacht. Statt mich allein in ein Kaffee zu setzten, was ich sicher auch bitter nötig hätte, habe ich meine große Tochter dazu geholt. Wir haben Kakao getrunken, gekuschelt und Menschen beobachtet. Wenn mein Mann einkaufen fährt, nimmt er oft ein Kind mit und ich bleibe mit dem anderen daheim. Diese Zeit nutzen wir für Spiele, Lesen und auch den Haushalt. Denn zusammen geht das viel schneller und macht mit Phantasie noch Spaß.
Drei Tage allein mit Mama: Nach einer besonders harten Phase mit vielen Abstrichen für die Große habe ich kurzerhand einen Koffer gepackt und bin mit ihr übers Wochenende weggefahren. Wir durften in Bremen die Jugendherberge an der Weser testen und hatten ein Wochenende nur für uns. Meine Tochter redet noch heute von unserem „Urlaub zu zweit“ und wünscht sich das bald wieder…inklusive Schlaflager auf dem Boden, Popcorn im Bett und viel Zeit nur mit Mama. Oft ist das nicht drin, aber ein oder zweimal im Jahr sollten wir das schaffen.
ach, liebe Bella, das ist soooo ein schwieriges Thema. Und so wichtig, drüber zu reden. Danke dir. <3
Mit der Geburt von unserer Tochter gingen die Bedürfnisse der Jungs ein wenig unter – noch immer. Ich schaffe es nur selten, so zu reagieren, dass keiner sich ungerecht behandelt fühlt.
Jeden Tag ein neuer Versuch und es wird besser. <3
Die Exklusivzeiten sind wichtig – haben wir kürzlich nun auch wieder eingeführt, obwohl oder gerade? weil mein Mann erst spät mit den kleinen Kindern nach Hause kommt.
Was ich auf jeden Fall beibehalte: 5 Minuten für Kaffee.
Das sage ich auch den Kindern: Ich brauche 5 Minuten Pause, dann kann ich wieder eine liebe Mama sein. 5 Minuten, in denen man durchatmen kann, bewusst Pause.
Das habe ich vorher nicht eingefordert und war dann nur genervt, das half niemandem.
Es ist alles im Fluss, jeden Tag anders.
Aber Hauptsache, man interagiert. <3
Und das meine ich alles positiv. <3
Oh ja, du hast Recht. Exklusivzeiten sind schwer einzurichten, aber wichtig. Kann mir das kaum vorstellen bei drei Kindern. Aber man wächst ja mit Anzahl der Kinder, oder wie war das? ;)