Was Eltern brauchen: Hilfe leisten in schwierigen Situationen

22. Januar 2020
familieberlin
Chronisch kranke Kinder | Familienleben | Freundschaft

Wenn das Leben einer Familie durch eine Diagnose, einen Unfall oder andere ungeplante Dinge plötzlich auf den Kopf gestellt wird, wollen Menschen helfen. Sie möchten der Familie zeigen, dass sie nicht allein sind, sie entlasten und vielleicht auch ein bisschen für sich selbst das Gefühl bekommen, etwas tun zu können. Nicht machtlos zu sein inmitten eines Schicksalsschlag der genau dieses Gefühl bei allen hinterlässt.

Ich schreibe nicht viel darüber, was genau bei uns los ist. Doch eine Frage erreicht mich täglich, vor allem bei Instagram. Ihr fragt nicht nach Diagnosen oder ähnliches unsererseits. Ihr fragt nach Hilfe. Entweder für uns oder für andere. Ich bekomme so viele Nachrichten, dass Freunde/ Bekannte/ Verwandte gerade in einer schwierigen Situation mit ihrem Kind stecken, jemand krank ist oder die Familie generell Hilfe braucht. Neben all den Geschichten darin, enden sie meist mit der Frage:

„Wie kann ich der Familie und vor allem den Eltern helfen? Was hat dir geholfen? Was können wir tun?“

Ich denke schon eine Weile darüber nach, denn eine Antwort darauf ist weder schnell gegeben noch kurz. Denn sie kann nur so individuell ausfallen, wie das Schicksal und Leben einer jeden Familie. Was uns half, kann für andere eine Last sein. Was uns nervte, kann genau das Richtige für andere sein.

Mit meinen Worten möchte ich mich sowohl an Betroffene richten, die vielleicht überlegen, wie andere helfen können. Aber ich richte mich auch an Angehörige, die eine Familie in einer schweren Situation unterstützen möchten.

Wenn Familien Hilfe benötigen

Gerade am Anfang ist die Hilflosigkeit aller am Größten. Diagnosen ziehen Behandlungen und Untersuchungen nach sich, bei Unfällen sieht es ähnlich aus. Vieles kommt plötzlich, so dass die Familien keine Möglichkeit hatten, einen Plan zu schmieden. Sie befinden sich im freien Fall. Die wohl häufigste Nachricht, die wir in dieser Zeit bekamen, war: „Wenn wir was tun können, melde dich“. Das ist oft eine gutgemeinte Geste des Gegenüber. Er soll Aktivität signalisieren und zeigen, dass man nicht allein ist. Aber bei den Betroffenen läuft leider ein anderer Film. Susanne Mierau brachte es in einer für sie schwierigen Situation auf ihrem Instagram-Kanal auf den Punkt:

„Wenn es uns schlecht geht, schauen wir nicht über den Tellerrand. Wir haben oft nicht die Kraft, um Hilfe zu bitten. Vielleicht fällt es uns nicht einmal ein. Oder wir schämen uns, wollen nicht zur Last fallen. Eigentlich sollten wir doch stark sein.“

Ich wusste damals nicht, was mich an diesen Sätzen von Freunden störte. Denn es war von niemandem böse gemeint. Nie! Aber es war mir zu unkonkret. All meine Kräfte gingen dafür drauf, die Familie am Laufen zu halten. Die eine Hälfte in der Klinik, die andere daheim. Bedürfnisse vereinen, da sein, funktionieren. Ich hatte keinerlei Kapazität dafür, zu überlegen, was andere noch tun können. Deswegen ist mein seitdem wichtigster Tipp für alle, die helfen wollen:

  1. Sei konkret: Biete Hilfe an, die du wirklich leisten kannst. Das können einfache Sachen sein, die aber die Familie entlasten können:
    1. Ich fahre heute einkaufen, was kann ich dir mitbringen?
    2. Ich habe morgen Nachmittag frei, darf ich mit den Kindern auf den Spielplatz gehen?
    3. Ich koche gerade, ich bringe euch später etwas fürs Abendessen vorbei.
    4. Es dürfen auch Dinge vor die Tür gestellt oder geklingelt werden. Auch ein kurzer Besuch in der Klinik kann helfen (vorher abgestimmt): Ein frischer Kaffee, leckeres Essen als Abwechslung zur Großküche, ein schönes Buch. 
  2. Bei uns zeichnete sich schon am ersten Tag ab: Patienten in einer Klinik verbringen sehr viel Zeit mit Warten. Gerade für Kinder kann das schwer sein, denn viele Kliniken sind auch nicht darauf ausgerichtet. Deswegen schickten mir Freundinnen Spiele und Bücher, mit denen ich die Wartezeit fürs Kind gut überbrücken konnte. Ich hatte bald eine kleine Kiste, aus der ich immer mal wieder etwas mitnahm. So hatte das Kind immer wieder Abwechslung und auch Überraschungen. Ja, theoretisch haben wir genug daheim, aber Klinikleben ist auf mehreren Ebenen eine Ausnahmesituation.
  3. Viele Menschen hatten Angst, uns zu fragen, wie der aktuelle Stand ist. Wie es uns und dem Kind geht, was nun passiert. Sie wollten uns nicht nerven. Verständlich. Aber im Gegenzug kam bei mir an: Ich möchte niemanden damit nerven, denn Schicksale von Kindern sind auch nicht für jeden einfach zu verkraften. Um dieses Missverständnis zu vermeiden: Fragt nach! Wie es geht, was passiert. Denn Austausch hat mir sehr geholfen, alles einzuordnen. Aber seid auch nachsichtig, wenn keine Antworten kommen oder diese dauern.
  4. In Zeiten immer schnellerer und digitaler Kommunikation war es wohl eine der schönsten Arten, an uns zu denken: Eine Postkarte oder ein Brief. Gerade für Menschen, die nicht um die Ecke wohnen. Gute Gedanken geben das Gefühl, dass man nicht alleine ist. Einige Postkarten hatte ich immer bei mir, weil sie so besonders waren.
  5. Gebt Raum! Eine Nachbarin bot mir an, dass ich jederzeit zu ihr kommen kann. Nicht unbedingt nur zum Reden, auch zum Weinen, Schreien oder Schweigen. Denn als Eltern mehrerer Kinder können Emotionen auch zu Hause nicht ungefiltert raus. Die Ängste, die ich hatte, sollten niemals noch mehr auf die Schwester zu Hause übertragen werden. Und so war es gut, allein das Wissen darum, einen Raum zu haben, wo ich all das rauslassen konnte, was zu Hause kontrolliert werden musste. Denn die eigenen Emotionen zu kontrollieren lernte ich in dieser Extremsituation sehr schnell und hadere damit bis heute.
  6. Schenkt Normalität: Das klingt kryptisch und ist es vielleicht auch ein bisschen. Aber ein Besuch zum Sonntagskaffee, ein gemeinsamer Ausflug auf den Spielplatz oder, wenn es organisatorisch möglich ist, eine Einladung zum Abendessen. Ein bisschen so tun, als wenn nichts wäre und sei es für eine Stunde. Das hilft allen in der Familie, denn alle sind sich bewusst, dass es danach wieder schnell weitergeht mit diesem neuen Alltag.
  7. Seid milde! Soll heißen: Die Menschen werden sich verändern. Es wird eine ganze Zeitlang nur ein Thema für sie geben. Hört trotzdem zu, denn das brauchen Eltern in diesem Moment. Es kann also sein, dass eure Themen manchmal kein Ohr finden. Das ist schwer, für beide Seiten, aber auch eine Entscheidung für die eigene Kraft. Die war bei mir begrenzt und so habe ich sicher nicht alle Themen und Sorgen meiner Freunde wahrgenommen. Ich drehte mich nicht nur sprichwörtlich um mein Kind. Das hält nicht jede Freundschaft aus. Deswegen zeigt Milde, wenn es mal so ist.
  8. Aber signalisiert auch klar, wenn ihr nicht damit umgehen könnt, dass es auf einmal einen Schicksalsschlag in eurem Umfeld gibt. Nicht jeder kommt damit klar, wenn Kinder oder Eltern krank sind und essentielle Ängste hervorkommen. Das können nicht alle ertragen. Wenn dem so ist: sagt, dass ihr gerade keine Worte dafür habt. Das es euch mitnimmt. Das ist besser als ein platter Smiley oder gar Funkstille, sofern euch die Freundschaft etwas bedeutet.

Das sind sicher nicht Tipps, die jedem helfen. Es ist sogar nur ein Bruchteil dessen, was man noch machen kann. Aber es soll zeigen: Seid da und vor allem, seid immer offen und ehrlich. Denn viele Freundschaften und auch Verwandtschaften können an diesen Krisen zerbrechen, wenn beide Seiten nicht offen sind.

Was hat euch oder anderen Eltern am meisten geholfen?

5 Kommentare

  1. Wow, Bella!
    Was für ein wichtiger Text mit so vielen Hinweisen- danke!
    Für deine Maus und euch als Familie alles Gute, bitte finde weiter Worte für Dinge, die schwierig sind!
    Deine Maike

    Antworten
  2. Das stimmt! Wir kennen das auch! Konkret etwas Tun! Kuchen vor der Tür, Abendessen kochen! Etwas zum Spielen senden! Anrufen und zuhören, obwohl es schwer ist! Und meine absolute „No-Go-Sätze“- ich könnte das nicht / wie ihr das schafft / das ist aber schlimm….
    Aber ich habe auch gelernt, mich abzugrenzen und zu lernen, dass manche Menschen einfach nichts falsch machen wollen! Aber auch konkret um Hilfe zu bitten! Toller Artikel, danke!

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  3. Liebe Bella,
    danke für diese Einblicke und Hinweise. Es wird mir bestimmt ein wenig Hilflosigkeit nehmen, sollten wir mal mit so einer Situation konfrontiert sein. Einmal waren wir es schon, als der Vater einer befreundeten Familie ganz plötzlich ins Krankenhaus musste, in einer lebensbedrohlichen Situation. Mir fehlten auch erst die Worte und ich glaube zuerst habe ich am Telefon nur gestammelt „Was kann ich tun?“ und war dankbar für eine klare Bitte, das Kind für ein paar Stunden zu nehmen. Es war leichter, als ich mich ein bisschen von dem Schock erholt hatte. Da haben folgende Dinge geholfen: die Mutter ins Krankenhaus fahren und abholen (kein eigenes Auto), die Tochter mit Normalität ablenken, für beide kochen und ihnen in den nächsten Tagen unser Auto vor die Tür stellen, damit sie jederzeit ins Krankenhaus können. Im Nachhinein habe ich das Gefühl, ich hätte mehr tun müssen, aber man möchte nicht aufdringlich sein. Daher hilft mir dein Post sehr, noch einmal darüber nachzudenken, dass es viele konkrete Dinge gibt, die man tun kann, ohne sich aufzudrängen. Und möglichst ehrlich darüber reden kann, ob das hilft und gewünscht ist. Ich hoffe sehr für euch, dass die schwierige Situation durchgestanden ist und ihr euch alle davon erholen könnt. Liebe Grüße, Inga

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  4. Oh Bella – der Artikel ist wunderbar geworden und wird vielen Menschen sehr helfen.

    In meiner Familie gab es einen sehr tragischen Schicksalsschlag und genau das „einfach tun“ des Umfelds hat uns allen am Meisten geholfen. Es gab Menschen die gekocht haben, die Küche sauber gemacht haben, die einfach nur nen Kaffee gekocht haben und zugehört haben. Manchmal war es auch die Person die einen eingehakt hat und mit einem einfach ne viertel Stunde an die Luft zum Spazieren gegangen ist. Das hat geholfen und uns nach einer Zeit endlich wieder eine Normalität gegeben.

    Momentan haben wir ja in der Kita einen sehr schwer erkranktes Mädchen die nun gerade eine zweite Stammzellspende innerhalb von wenigen Monaten bekommen hat. Wir versuchen als Eltern so viel wie möglich für die Familie und vor allem auch die große Schwester zu machen. Aber auch da sind wir alle oft hilflos. Aber wir haben als Elternvertreter mit einer Email an alle vor Kurzem quasi die Familie geschützt, die vor lauter Fragen und Anteilnahme sich kaum noch in die Kita zum Abholen getraut hat. Es war ein reiner Spießrutenlauf. Wir versuchen möglichst viel Normalität für die Familie herzustellen. Gerade auch um der grossen Schwester (4 Jahre) eine möglichst grosse Stabiliät zu bieten. Und nebenbei bangen wir alle um die Kleine. Aber genau Dein Artikel sagt mir gerade noch einmal mehr: „ich muss einfach tun“
    <3 Liebste Grüße
    Ich hoffe wir sehen uns bald mal wieder – und dann Russenhocke

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    • Mit dir mache ich immer Russenhocke. <3 Und es ist toll, wie ihr die Familie unterstützt. Das ist so viel Wert.

      Antworten

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