Warum haben wir so ein Problem mit dem Tod, Iris Willecke?

7. Oktober 2021
familieberlin
Familienleben | Uncategorized

Warum haben wir so ein Problem mit dem Tod? Das könnte man knapp mit „Weil es das Ende ist“ beantworten. Aber steckt dahinter nicht mehr? Es geht vielmehr darum, dass wir das Thema Tod auch schon in Gesprächen umgehen. Gerade im Umgang mit Kindern, die Fragen dazu stellen, kann das schwierig werden. Denn wenn wir selbst ein Problem bzw. Angst vor einem Thema haben, können wir unsere Kinder darin auch nicht gut begleiten. Nun ist der Tod wirklich ein sehr schwieriges Thema für viele Menschen. Mich interessiert: Warum ist das so? Darüber hat Iris Willecke geschrieben. Die gelernte Krankenschwester und psychologische Beraterin ist ausgebildete Trauerbegleiterin und hat viele Jahre Erfahrung in der Begleitung von Sterbendene und deren Familien. Sie hat einen wesentlichen Gedanken zum Thema Tod, der auch mir schon auffiel: Der Tod ist einfach nicht mehr präsent in unserem Leben. Das war mal anders.

„Tabuthema ist nicht wirklich passend“

Oft hört oder liest man, dass Tod und Sterben Tabuthemen in unserer Gesellschaft sind. Ich finde den Begriff Tabuthema in diesem Zusammenhang nicht wirklich passend, habe aber auch leider keinen besseren parat.

Tatsache ist, dass viele Gedanken an den Tod und alle damit verbundenen Themen lieber verdrängen, bis es irgendwann aufgrund einer eigenen Betroffenheit nicht mehr geht. Das kann z.B. der Tod einer nahestehenden Person sein, aber natürlich auch eine eigene schwere Erkrankung mit unsicherem Ausgang. Plötzlich schlägt das Schicksal zu und trifft einen völlig unvorbereitet.

 

Es gibt verschiedene Erklärungsansätze, wieso wir in Deutschland seit einigen Jahrzehnten  – im Gegensatz zu früher –  so ein Problem mit dem Thema Tod haben. Fest steht, dass früher das Sterben wie selbstverständlich zum Leben dazu gehörte. Der Tod war bei einer viel geringeren Lebenserwartung und einer hohen Kindersterblichkeit allgegenwärtig. Gestorben wurde daheim, wo bei vielen das eigene Totenhemd bereits seit der Hochzeit in der Truhe lag. Die Verstorbenen wurden von den Angehörigen versorgt und zu Hause aufgebahrt und auch den Kindern wurde der Anblick der Toten nicht verwehrt …

„Im realen Leben haben die Themen rund ums Lebensende keinen Platz.“

Nach dem 2. Weltkrieg waren weite Teile der Gesellschaft traumatisiert. Über die extremen Erfahrungen, belastenden Erlebnisse und die Trauer wurde nicht geredet. Nur durch konsequentes Verdrängen schien ein Weiterleben für viele überhaupt möglich.

Kurze Zeit später begann die Wirtschaftswunderzeit und Produktivität stand im Fokus. In der Freizeit wurden Spaß und Lebensfreude kultiviert. Die Themen Krankheiten und Sterben passten da nicht rein. Durch die Fortschritte in der Medizin wurde der Tod bald auch von Medizinern immer mehr als Versagen angesehen und gestorben wurde zunehmend in Krankenhäusern.

 

Heute ist uns der Anblick von Toten zwar übers Fernsehen sehr geläufig, aber im realen Leben haben die Themen rund ums Lebensende keinen Platz. Sie sind uns fremd und machen auch gerade deshalb Angst oder erzeugen zumindest ein ungutes Gefühl. Wir haben eine grobe Ahnung davon, wie sehr uns der Tod einer geliebten Person treffen kann, möchten uns aber, verständlicherweise, da lieber gar nicht weiter einfühlen und mit beschäftigen. Auch die Gedanken an das eigene Sterben belasten, da sie viele existenzielle Fragen hervorbringen, auf die wir keine schnellen Antworten wissen. Wenn wir uns mit dem Tod beschäftigen, merken wir, dass wir ihm in gewisser Weise ausgeliefert sind und nur bedingt Einfluss haben. Das erzeugt Angst, denn wir möchten gerne über alles die Kontrolle haben.

 

Ich glaube dennoch, dass wir davon profitieren, das Lebensende wieder mehr in den Blick zu holen. Das gilt für jeden einzelnen, aber auch in Hinblick auf die gesamten Gesellschaft. Zum Glück tut sich bereits einiges, und es gibt viele Leute, auch abgesehen von der Hospizbewegung, die wie ich dafür eintreten, dass der Tod wieder mehr ins gesellschaftliche Bewusstsein geholt wird.

 

Eine meiner Ideen dazu war es, einen Aktionstag nach dem Vorbild des australischen „Dying to know day“ in Deutschland einzuführen. In diesem Jahr haben wir den Memento Tag am 8.8. bereits zum dritten Mal ausgerufen. Wer dazu mehr Infos möchte, schaut am besten mal auf der Seite www.mementotag.de vorbei.

„Eins ist klar, sterben müssen wir früher oder später alle, aber das Sprechen über den Tod hat noch niemanden umgebracht.“

Die Einführung eines solchen Tages fand ich aus zwei Hauptgründen, die beide eng mit meiner Arbeit als Trauerbegleiterin zusammenhängen, sinnvoll. Zum einen erlebe ich es regelmäßig, dass mir Trauernde Dinge erzählen wie „wir hatten doch eigentlich noch soviel vor.“ oder „nach Rentenbeginn wollten wir reisen und das Leben genießen“ … Mich machen solche Aussagen immer sehr traurig, denn viel zu viele Menschen leben so, als wenn sie unendlich Zeit hätten und schieben immer alles auf die lange Bank. Oft wird dann aus einem Irgendwann ein Nie. Der Memento Tag möchte zum end-lich leben motivieren. Darunter verstehen wir vom Projektteam, dass einem bewusst ist, dass jede Lebenszeit begrenzt ist, wodurch sie als kostbarer angesehen und effektiver genutzt wird.

Außerdem geht es in meinen Begleitungsgesprächen auch oft um Probleme, die daraus resultieren, dass sich der Verstorbene keine Gedanken um eine Notfallvorsorge gemacht hat und z.B. keine Patientenverfügung, kein Testament, keine Bankvollmacht etc. vorlag. Auch leiden manche Hinterbliebene darunter, wenn in der Familie niemals über Bestattungswünsche geredet wurde und sie nun gar nicht einordnen können, ob die Wahl, die sie treffen mussten, im Sinne des Verstorbenen war. Mit dem Memento Tag möchten wir daher auch dem Thema Vorsorge, welches in unseren Augen vor allem ein Liebesdienst den Angehörigen gegenüber ist, Aufmerksamkeit schenken.

Eins ist klar, sterben müssen wir früher oder später alle, aber das Sprechen über den Tod hat noch niemanden umgebracht. Und Gespräche über das Lebensende müssen im übrigen auch nicht zwangsläufig schwer und traurig sein. Wer sich mal in ungezwungener Atmosphäre mit Fremden austauschen möchten, dem seien „Death Cafe“ – Treffen empfohlen, die es mittlerweile an vielen Orten in Deutschland gibt.

Iris‘ Buch:

Iris hat auch ein Buch zum Thema Trauer geschrieben. Seit Anfang September gibt es „Wie aus Trauer Liebe und Dankbarkeit wird: Schreibimpulse für einen bewussten Weg durch die Trauer.“ erschienen im humboldt Verlag.

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