Mein Kind malt gern. Sie könnte sich darin stundenlang verlieren, doch manchmal dauert ihre künstlerische Aktion auch nur wenige Minuten. Lange Zeit stand ihr ihre Ungeduld im Weg. Da wurde wild drauf los gekritzelt und acht Schichten Farbe auf ein und dieselbe Stelle des Papiers gekrakelt…und damit auch auf den Tisch darunter. Das fand ich nie schlimm, aber doch wunderte ich mich. Andere Kinder um sie herum malten Häuser, Menschen, Tiere, Himmelskörper und Blumen. Alles klar erkenntlich und irgendwie süß. Meine Tochter machte das nur auf Ansage. Wenn ich ihr nicht sagte, was sie malen könne, wurden es wilde Farben, quer aneinander, übereinander und scheinbar ohne Konzept.
Packt die Phantasie in Kisten. NICHT!
Nachdem die Sorgenstimme, die wohl in jeder Mama wohnt, leiser wurde, merkte ich, dass ich etwas falsch machte. Ich gab meinem Kind Anregungen, was sie doch malen könnte. Ich merkte erst gar nicht, dass ich meine Ideen, die eher einem Test glichen, ob mein Kind denn dieses oder jenes könne, wie einen Karton auf ihren Kopf setzte. Rums! Das Kind malte brav, was ich ihr riet und es war gut. Doch so wirklich Spaß hatte sie nicht. Das sah ich schnell und versuchte, ihr meinen Ideenkarton aus den Gedanken zu nehmen, ihre kindliche Phantasie wieder zurück zu rufen und sie zu halten. Denn was ist wohl schöner als die Phantasie eines Kindes?
Statt ihr zu sagen, was sie denn malen könne, fragte ich sie:
Was malst du da? Was ist das?
Und sie antwortete. Sie erklärte mir, dass das hier eine Feuerwehr hinter einem Busch ist und dort oben ein Mond Seifenblasen machte. Hier tanzten ihre Freunde und da, das ist ihre Schwester.
Erstmals merkte ich, dass das, was sie in meinen Augen scheinbar ohne Konzept kritzelte, doch einen Sinn hat. Ihren Sinn.
Was mir eine Giraffe beibrachte
So malte sie neulich eine Giraffe. Ich erkannte sie auch sofort und doch waren wir unterschiedlicher Meinung. Denn wo ich den Kopf sah, sah sie den Körper. Statt eines großen Körpers, hatte sie einen Wasserkopf. Was ich als vier Beine interpretierte waren Ohren und Hörner. Ihr Gesicht ging in den Punkten unter und erst, als sie sie mir deutlicher nachmalte, dass ich sie auch erkenne, machte es klick.
In meinen Augen war es immer noch der falsche Ansatz. Aber wer bin ich, dass ich meiner damals noch Dreijährigen beibringen sollte, dass ihre Giraffe falsch sei. Denn ist sie das überhaupt? Nur, weil ich Giraffen anders kenne – nein – anders sehe, heißt es ja nicht, dass ihre falsch ist. Schließlich bin ich kein Giraffen-Experte. Oder? Es lag also nicht an mir, meiner Tochter beizubringen, wie man eine Giraffe malt. Es war an ihr, mir beizubringen, die Welt nicht nur in festen Mustern zu sehen. Statt ihr einen Karton starrer Ideen und Bilder auf den Kopf zu setzen, hat sie mir meinen abgenommen.
„Nein Mama, schau mal! Das hier ist die Giraffe, hier ist ihr Kopf. Das Kleine da, ist der Popo. Warum ist das falsch?“
Feste Normen kommen früh genug
Ja, genau. Warum eigentlich? Ich weiß es nicht. Sie wird noch genug Dinge nach festen Normen und Mustern machen müssen. Muss nach Plan lernen, sich entwickeln und Fortschritte vorweisen. Warum also soll ich ihr mit drei Jahren sagen, dass sie eine Giraffe falsch malt? Ich glaube sogar, dass sie ganz genau weiß, wie eine Giraffe aussieht. Schließlich setzt sie sich fast täglich geduldig mit ihrer Schwester hin und erklärt ihr das Tierbuch. Sie sitzen zusammen und lachen, wenn einer auf das falsche Tier tippt. Sie sagen nicht „Du musst das so machen“ oder „Das ist aber falsch“ zueinander. Sie finden einen anderen Weg, und der ist meist humorvoll. Denn eigentlich wissen beide schon recht viel für ihr Alter. Und selbst wenn nicht, warum soll es dann unbedingt in den festen Karton passen, den wir unseren Kindern versuchen aufzusetzen?
Nicht nur wir lehren unsere Kinder – auch sie bringen uns eine Menge bei. Wir müssen nur offen genug dafür sein, zuhören und uns leiten lassen. Dann ist da nämlich kein rotes Gekrakel, sondern loderndes Feuer. Und die Giraffe daneben hat so einen großen Kopf, weil sie den Mund voller Wasser hat und das Feuer löschen will. Eine Feuerwehrgiraffe. Klaro – davon sollte jeder eine haben!
ooocchhh….. so schön zu lesen. jaja unsere eigenen schranken und grenzen. die wir ohne die kinder gar nicht merken. am schönsten ist es sich von ihnen die welt erklären zu lassen und eine andere sichtweise zu erleben. manchmal ist mir die erwachsenen denkweise zu klar, zu erklärbar, zu fad…. wie toll ist es etwas durch kinder zu erleben. wie gerne würde ich noch wie meine 5 jährige tochter denken können. manche dinge nicht wissen und so unbeschwert zu sein. leider vergessen wir was wir selbst in dem alter gedacht und gefühlt haben. so herrlich naiv zeitweise und sooo gutgläubig, dass mir diese kleinen kinder manchmal unendlich leid tun, weil die gutgläubigkeit manchmal ausgenutzt wird.