So lange nehme ich mir vor, wieder über die Zeit zu schreiben, als eine meiner Töchter krank wurde. Denn eure Fragen über chronisch kranke Kinder und dem Familienleben brechen nicht ab. Nach wie vor geht es euch weniger um Details sondern um wirkliche Hilfe und konkrete Fragen. Die möchte ich euch auch weiterhin beantworten. Vielleicht habe ich mich gerade etwas darum gedrückt, da unsere schwierige Zeit exakt vor einem Jahr war und wir alle Gefühle durchlebt haben, die eine emotionale Eltern-Achterbahn zu bieten hat. Das macht mich oft stolz, traurig und ängstlich zugleich. Und vielleicht habe ich mich auch davor versteckt.
Nichts destotrotz stecken einige von euch vielleicht gerade in ähnlichen Situationen und haben chronisch kranke Kinder wie ich. Und genau deswegen möchte ich das Thema nicht einschlafen lassen. Weil ich weiß, wie wichtig Hilfe sein kann. Heute geht es weniger um das kranke Kind, sondern im Zweifel um die, die ebenso darunter leiden, aber gesund sind: Die Geschwister.
Chronisch kranke Kinder und ihre Geschwister
Unabhängig der Ängste und Sorgen, die Eltern (chronisch) kranker Kinder sowieso schon haben, gibt es in vielen Familien noch weitere Kinder. Diese Kinder werden leider oft vergessen. Nicht von den Eltern, keine Sorge. Aber von anderen, außenstehenden und auch oft in den Berichten. Doch ich kann für mich sagen, dass ich mir teilweise mehr Sorgen um meine gesunde Tochter machte, als um meine kranke. Denn um die kranke Tochter kümmerte sich ein Netz aus Ärzten und Co, um meine andere Tochter leider nicht. Und so war es Aufgabe der Eltern, sie aufzufangen.
Das kann aufreibend sein, denn mitunter verstehen nicht alle Kinder, was gerade in der Familie passiert. Worte, Ängste und Diagnosen werden je nach Alter der Kinder unterschiedlich aufgefasst. Deswegen ist es wichtig, die Geschwisterkinder altersgerecht aufzuklären und sich dafür Zeit zu nehmen. Denn oft fehlen noch Worte für Dinge, die die Kinder schon wahrnehmen können. Denn egal ob drei, sechs oder zwölf Jahre alt: Kinder spüren die Sorgen und Emotionen der Eltern. Sie verdienen es, dass diese Gefühle für sie benannt werden. Das ist nicht immer einfach und viele Möglichkeiten sind umstritten. Denn auch ich habe in Gesprächen mit anderen Eltern oft andere Umgangsweisen gehört. Das hier ist mein Weg. Er muss nicht richtig sein, aber für uns war er gut.
Das war uns wichtig im Umgang
- Redet mit den Geschwistern: Egal mit welcher Diagnose und Behandlung eure Familie konfrontiert ist, eure Kinder spüren es. Während vielleicht euer kleiner Patient in der Klinik ist bzw. schon eher weiß, was mit ihm oder ihr passiert, haben Geschwisterkinder zu Hause weniger Einblick. Deswegen redet mit ihnen, was genau passiert. Benennt Diagnosen und erklärt sie altersgerecht. Erklärt, was genau gemacht wird, um zu helfen. Was machen die Ärzte? Wird operiert? Gibt es Medikamente? Was passiert im Krankenhaus?
- Beobachtet und nehmt wahr: Auch wenn ich für Offenheit im Umgang mit jeglichen Krankheiten und Behandlungen plädiere, soll diese nicht unreflektiert und wahllos passieren. Deswegen schaut auf euer Kind. Kann es mit den Informationen umgehen? Machen sie ihm Angst? Kann es das schon verstehen? Wenn ihr merkt, dass das Kind Angst bekommt oder zeitlich noch keine Vorstellung hat, dann brecht die Informationen runter. One Step At A Time. Um Ängste zu verringern ist es auch sinnvoll, danach über bestimmte Behandlungsschritte zu reden, wenn sie vorrüber sind.
- Lasst Gefühle zu: Auch kleinste Kinder können Angst um ihre Familie haben. Sie können es vielleicht nicht in Worte fassen, aber man spürt es in ihrem Verhalten. Sollten eure Kinder schlechter schlafen, anhänglicher sein oder auch mit aggressivem Verhalten reagieren, kann das eine Form von Angst sein. Lasst es zu, zeigt dem Kind, dass ihr da seid und versteht. Und weiht enge Bezugspersonen in Kindergarten und Schule ein. Denn Kinder können auch dort anders sein als sonst oder, je nach Alter, auch Dinge erzählen. Es ist gut, wenn ErzieherInnen und LehrerInnen wissen, was in der Familie (in etwa) passiert.
- Einweihen und ein Netz bauen: Nicht nur dort sollten Menschen Bescheid wissen. Mit der Diagnose für unsere Tochter habe ich teilweise Menschen „eingeweiht“, denen ich es im Zweifel sonst nicht gesagt hätte. Der Grund für mich: Ich wollte ein Netz schaffen, was unsere gesunde Tochter auffängt und auf das sie sich verlassen kann. Dazu zählen mitunter auch Nachbarn, Freunde, Verwandte und Eltern von Kinderfreunden. Diese Menschen haben uns teilweise unser Kind abgenommen, wenn wir keine Kraft hatten oder eben in der Klinik oder bei Untersuchungen waren.
- Schafft Transparenz: Für unsere Tochter war die Ungewissheit am Schlimmsten. Manchmal habe ich sie morgens in den Kindergarten gebracht und konnte sie – entgegen der Versprechungen – nicht abholen, weil wir spontan in die Klinik mussten. Deswegen habe ich irgendwann aufgehört, ihr zu sagen, dass ich sie abhole. Was daran transparent ist? Nicht viel. Und genau deswegen habe ich ihr offen aufgezeigt, dass es eine Liste an Menschen gibt, die sie abholen und versorgen können. Alle auf dieser Liste waren ihr wichtige Personen, denen sie vertraut und wo sie sich sicher fühlt. Alle wussten immer Bescheid und im Zweifel gab es jemanden, der sie abholen konnte.
- Schafft Exklusivzeiten: Wir haben viel Zeit in Kliniken verbracht. Klar, dass wir als Eltern dadurch weniger zu Hause und bei unserer anderen Tochter waren. Umso wichtiger war es, dass wir, wenn wir da waren, nur für sie da waren. So haben wir schnell kleine Zeitfenster eingerichtet, in denen wir nur für unsere gesunde Tochter da waren und mit ihr gemacht haben, was sie wollte. Dazu zählte auch, dass es sich nur um sie drehte ohne Gespräche und Planungen über ihre Schwester. Ich habe richtig gemerkt, wie sie in dieser Zeit Kraft tankte und auch für mich war es gut und wichtig.
- Akzeptiert Schwierigkeiten: So sehr ich gerne wollte, dass sich die Kinder oft sehen und Zeit zusammen haben, so haben wir schnell gemerkt, dass es unserer Tochter nicht gut tat, uns in der Klinik zu besuchen. Die Zeit war geprägt von Streit, Emotionen und vielen Tränen. Vor allem der Abschied war immer schwer und hat uns allen wehgetan. Meine Tochter verband mit der Klinik Abschied, Trennung, Schmerz und Angst – Gefühle die kaum einer gerne möchte. Also haben wir die Besuche reduziert. Das war für mich zwar schwer, aber wir haben gemerkt, dass es unserer Tochter zu Hause so besser ging. Denn auch das Miteinander der Geschwister litt bei diesen Besuchen, da sie nicht – wie sonst – unbeschwert miteinander spielten.
- Lasst (eure) Emotionen zu: Der Umgang mit Gefühlen ist für alle Menschen verschieden. Manche sind vor den Kindern gefasst, andere sind für komplette Offenheit. Für uns war beides richtig. Das heißt, dass wir nicht unkontrolliert vor den Kindern geweint haben. Aber dennoch haben wir gemeinsam über unsere Gefühle gesprochen. Wir haben gesagt, dass wir Angst haben. Wir haben auch geweint, aber das auch thematisiert und darüber gesprochen. Denn ich bin der Meinung, dass Kinder nur dann lernen, mit ihren Gefühlen umzugehen, wenn sie diese bei Bezugspersonen gespiegelt bekommen und auch selbst diese Gefühle erleben dürfen. Wir haben oft darüber geredet und auch verortet, was wo gespürt wird und warum das Gefühl vielleicht da ist.
Ihr seht, es ist nach wie vor kein leichtes Thema. Denn dieser Umgang mit Geschwisterkindern kann nicht pauschal formuliert werden. Je nach Alter und Co gibt es andere konkrete Methoden. Aber dennoch sollte der Ansatz in Offenheit, Akzeptanz und Transparenz klar sein.
Habt ihr weitere Fragen zum Umgang mit Geschwistern bzw. chronisch kranke Kinder unabhängig der Diagnose und Behandlung? Habt ihr selber noch Tipps?
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