Es ist Abend. Der Tag von allen war lang. Der eine ist viele Kilometer gefahren, um am Abend bei seinen Mädels zu sein. Die andere hat viele Wörter geschrieben, gesprochen und wohl unendlich viele davon gedacht. Die Große hat eine neue Freundin, deren Name ihr entfallen ist und sie nun überlegt, wie sie diese wieder findet. Und die Kleine?
„Aber Mama, weißt du?..ähm…ähm…Käse essen.“
Wenn Gedanken schnell sind, fehlen (noch) die Worte
Ehrlich gesagt habe ich keinen Schimmer, was sie mir erzählen will. Doch wenn alle von ihrem Tag berichten, jeder versucht zu erzählen, was er erlebt hat und die zwei Erwachsenen zwischen all den Anekdoten der Vierjährigen kaum zu Wort kommen, so ist da noch jemand anderes. Die Kleine, gerade zwei Jahre alt. Sie reiht Ähms an Aber und füllt Lücken mit ihrem Namen. Sie hat sicher nicht weniger erlebt und doch findet sie oft noch nicht alle Worte dafür. Nicht, weil sie diese nicht weiß, sondern weil ihre Gedanken schneller sind als das Sprechen. Sie kann die Worte eben nicht flüssig und beinahe lässig wirkend aneinander reihen wie wir Großen.
Sie beantwortet alle Fragen, die wir ihr stellen, sie berichtet auch von Erlebnissen, die sie immer und immer wieder durchgesprochen hat und die eigentlich längst vergangen sind. Aber das Neue, das Aufregende, das von Heute kommt ihr nicht immer so klar über die Lippen, wie sie es sich wünscht. Doch sie will gehört werden, immer wieder. Sie ruft laut „Mama, weißt du…“ und verliert dann den Faden. Nun könnte ich mich damit abfinden und schnell dem nächsten Redenden am Tisch folgen, meist ihrer Schwester. Doch ist das fair?
Wessen Geschichten sind wichtiger?
Ich habe mich dabei ertappt, wie ich meine Kleine übergangen habe. Zunächst nicht bewusst, doch dann, als es mir auffiel, ertappte ich mich bei dem Gedanken: Na sie kann sowieso noch nicht vollkommen von ihrem Tag berichten und was es zum Mittag gab, ist nicht so wichtig.
Halt: Ist es das wirklich nicht?
Wenn meine Zweijährige mir davon berichten will, dass es heute Nudeln mit „Matensoße“ gab, warum ist das nicht wichtig? Weil es daraus keine Konsequenz gab? Kein To Do oder vielleicht ein neues Projekt vom Chef? Wenn ich ehrlich bin, wüsste ich ihr Mittag auch mit einem Blick auf ihren Pulli. Mehr gäbe es nicht zu sagen. Und doch: Genau das muss gesagt werden. Von meiner Tochter mit ihren zwei Jahre.
„Mama, ich esse Nudeln mit Matensoße.“
Für sie ist es wichtig, denn sie kann sich erinnern, sie kann es in Worte fassen und sie kann es uns mitteilen. So wie ich über mein Telefonat spreche und mein Mann über seinen Termin. So wie ihre Schwester rätselt, wie sie ihre unbekannte Freundin wiederfindet. Denn es geht um mehr als um das Erlebnis am Tag.
Es geht um Respekt!
Es geht um Respekt. Darum, zuzuhören und sei das Gesagte noch so unwichtig und lapidar in den Augen von Erwachsenen. Die, die ihr Mittag vielleicht zwischen Terminen runtergeschlungen haben und sich im Zweifel nicht mal mehr erinnern, was und wie sie überhaupt gegessen haben. Es geht um den Respekt, dass jedem zugehört wird und das Maß nicht am Wert der Geschichte angelegt wird, sondern an den Fähigkeiten und Worten, die ein jeder sagen kann und vor allem möchte. Und wenn es nicht dazu reicht, zu erzählen, dass man heute mit Lilli und Sam gespielt hat, zusammen eine Bude gebaut hat und um die Wette gerannt ist, dann sind es eben andere Worte, denen man aus dem Mund des Kindes zuhört.
Es geht um Respekt, jedem in der Familie zuzuhören und das Gesagte nicht zu bewerten. Denn wer weiß, ob meine Zweijährige meine Geschichten von Terminen und Co nicht auch gähnden langweilig findet, sie es nur noch nicht so forsch ausdrücken kann? Ich höre zu, denn es ist ihr wichtig. Ich spreche sie an, frage nach ihrem Tag und noch wichtiger: Ich warte ihre Antwort ab, denn nicht immer sind die richtigen Worte sofort auf der Zunge, wenn man sie braucht. Gedanken müssen beiseite geschoben und Worte in die richtige Reihenfolge gebracht werden. Zwischen den vielen Ähms und Aber könnte ich viele Antworten erahnen, ihr vorgeben und ihr die Worte direkt in den Mund legen und vorsagen.
Mache ich aber nicht mehr, denn was weiß ich schon über den Tag meiner Zweijährigen? Eben. Also lasse ich sie erzählen.
0 Kommentare
Trackbacks/Pingbacks