#bleibtlaut: Kein Opfer und dennoch betroffen

5. August 2018
familieberlin
Gedanken

Vor einiger Zeit schuf Sabine den Hashtag #bleibtlaut. Ihre Verlängerung der #metoo und #aufschrei Bewegung, ihre Art auf Sexismus im Alltag hinzuweisen, ihn zu verurteilen und vor allem: Ihm etwas entgegen zusetzen, laut zu bleiben, auch wenn der Aufschrei vorüber zu sein scheint. Sabine ruft dazu auf, dass andere BloggerInnen ihre Geschichte erzählen. Dass sie mit ihr zusammen laut sind und die Gesichter des Sexismus aufzuzeigen. Ich dachte:

Tolles Thema. Mutig und wichtig. Aber was soll ich schon dazu sagen? Mir noch nie passiert.

Doch ihr Anlass zur Verlängerung des Aufschreis ist banal: Zwei Männer bewerten auf offener Straße den Po einer ihnen fremden Frau. Sie analysieren, reden laut und vermessen über sie und hinterlassen bei ihr vielleicht keine körperlichen Spuren, aber vielleicht innere. Und ich komme ins Grübeln: Ist mir das schon mal passiert? Nicht bewusst. War ich jemals Opfer von Sexismus? Nicht, dass ich wüsste. Theoretisch kann ich nun dankbar sein und mich meinem Alltag zuwenden. Danke, weitermachen!

Mein Alltag? Halt! Ich habe zwei kleine Kinder, Mädchen, die der Welt so frei und offen entgegen treten wie ein leeres Buch, dessen Seiten gefüllt werden wollen. Zwei Mädchen, denen irgendwann mal Alltagssexismus passieren kann. Sei es später auf dem Weg zur Schule, einem Ausflug am See oder beim Passieren einer Baustelle. Ich war bisher nicht betroffen, aber was, wenn sie… Meine Gedanken werden schon wild und dunkel, allein bei dem Denken daran. Und sie zeigen mir:

Egal, dass ich nichts lautes beitragen kann. Ich muss laut bleiben: für meine Töchter!

Stark machen für die Zukunft: meine Aufgabe als Mutter

Denn woher sollen sie wissen, was Sexismus ist, wenn wir nicht darüber sprechen? Woher wollen meine Kinder wissen, was Nähe und was Belästigung ist, wenn sie nicht wissen, dass es einen Unterschied gibt. Selbst wenn sie es wissen, wie sollen sie darauf reagieren? Durch das Laut sein der jetztigen Generation! Indem ihre Mutter sagt: Ich wurde nie sexuell belästigt, aber sowas gibt es! Pass auf, reagiere, sei laut! Denn nur, weil ich es bisher nicht kenne, heißt es nicht, dass es nicht da ist.

Doch es geht nicht nur um das Thematisieren, das drüber Reden und das Verstehen meiner Kinder. Es geht für mich auch darum, dass sie ihre Grenze kennen, für diese einstehen und sie verteidigen. Ja, es hört sich kriegerisch an und vielleicht ist es das auch. Denn nur, weil manche Frau ein Pfeifen auf der Straße nicht als anmaßend empfindet und sich vielleicht sogar darüber freut, heißt es nicht, dass eine andere sich dadurch nicht belästigt fühlt, sogar unsicher in ihrer Umgebung. Ein Pfeifen, so banal es klingt, ist nicht für jede ein Kompliment.

Es ist eine Frage der persönlichen Grenze, die jeder anders setzt und empfindet. Meine Aufgabe ist es, meine Kinder diese Grenze finden zu lassen und  mit ihnen ein Gefühl dafür zu entwickeln, was richtig und was falsch ist. Wenn sie ihre Grenzen gefunden haben, dann gilt es, sie zu beschützen und ja, auch zu verteidigen. Wenn andere sie nicht wahrnehmen, vielleicht unwissentlich. Oder wenn wieder andere sie mit voller Absicht übergehen wollen. Doch es gehört ebenso dazu, die Grenzen der anderen zu wahren. Egal, ob Mann oder Frau. Auch das müssen sie lernen – von mir.

Es geht nicht nur um #bleibtlaut, es geht auch um #shutup

Ich sehe meine Aufgabe als Mutter darin, meine Töchter stark für die Welt zu machen. Aber ich sehe auch eine noch größere Aufgabe, nicht nur für mich: Männer, nein Menschen, die andere Menschen öffentlich bewerten, sie wie Freiwild behandeln und über deren Grenzen gehen, sollen die Klappe halten. Niemand hat das Recht, so mit anderen Menschen umzugehen. Niemand hat das Recht, andere sexuell zu belästigen. Ja, wir brauchen starke Menschen in der Welt, um das abzuwehren. Aber wir brauchen auch eine Kampfansage an die Ursachen. Menschen, die kein angemessenes Frauen- und auch Männerbild vermittelt bekommen. Menschen, die nicht wissen, was Gleichberechtigung ist. Menschen, die ein NEIN nicht ernstnehmen und Menschen, die sich einfach das nehmen, was sie wollen.

Es ist also nicht nur an der Zeit, den Opfern zu zeigen, dass sie nicht allein sind. Es ist nicht nur an der Zeit, die Zahl potentieller Opfer zu verringern, indem wir das Thema Sexismus und sexuelle Belästigung thematisieren und enttabuisieren. Es ist auch an der Zeit, Tätern und potentiellen Tätern zu sagen #shutup. Egal, ob wir betroffen sind oder nicht!

2 Kommentare

  1. Liebe Bella,

    es geht mir genauso wie dir. Seit ich Mutter bin, beziehe ich solche Themen immer zuerst auf meine Kinder – meine Töchter in diesem Fall. Es gibt so viele Dinge, für die wir sie stark machen müssen. Eine verdammt schwierige und doch so wichtige Aufgabe.

    Liebe Grüße

    Regine

    Antworten
    • Schwierig, du sagst es. Und das macht es umso herausfordernder und wichtiger, denn wir dürfen uns davor nicht scheuen! Danke für deine Worte!

      Antworten

Trackbacks/Pingbacks

  1. #bleibtlaut: Ich war schockiert und beschämt. - - […] schreibt über Sexismus im Job. Ein genialer Blogbeitrag, danke! Oder Bella von https://familieberlin.de/, die super klar macht, warum auch…

Einen Kommentar abschicken

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Anzeige
Innonature