Meine Zeitreise: Der Abend vor Weihnachten

28. Dezember 2017
familieberlin
Gedanken

Weihnachten ist eine magische Zeit. In meiner Heimat ist sie sogar noch magischer, denn ein bisschen ist es, als würde man in die Vergangenheit reisen. Ich treffe Menschen, die ich teilweise Jahrzehnte nicht gesehen habe. Die eine Freundin beim Bäcker, meinen Geschichtslehrer im Blumenladen und meine Leidensgenossin in Informatik mitten auf dem Marktplatz. Alle kommen sie zurück, so kurz vor Weihnachten – in die Heimat. Dort wo ich Fahrradfahren lernte, den ersten Jungen hinter der mittelalterlichen Stadtmauer küsste, mich mit meinen ersten hohen Schuhen mitten auf dem Marktplatz lang legte und Freundschaften schloss. Letzteres sogar sehr viele. Manche hielten nicht lang, andere bestehen noch heute. Und auch wenn wir uns nicht oft sehen oder hören: wenn wir dann zusammen sind, ist alles so wie damals. 2003.

Der harte Kern, immer vor Weihnachten

In der Regel treffen wir uns immer am 23. Dezember, am Abend vor Weihnachten, ob 2006, 2011 oder 2017. Egal, in welchem Jahr wir uns treffen, am Abend vor Weihnachten sind wir alle nochmal 18. Alle komme zusammen und jeder fühlt sich ein bisschen wie damals in der Oberstufe. Kurz vor dem Abi, frisch verliebt oder schon wieder Single, gut in der Schule oder immer knapp bestanden, aufgeregt oder tiefenentspannt. Alle sind ein bisschen so wie damals. 2003.

Der „harte Kern“ kommt zusammen, die, die sich seit der Grundschule kennen oder gleich zu Beginn der siebten Klasse. Jedes Jahr am Abend vor Weihnachten, kommen wir zusammen. Da sind die, die alle 10 Jahre dazu kommen und da sind die, die immer da sind. Und an diesem Abend fühlt sich jeder wie die, die niemals weg waren. Die Zeit dreht sich kurz zurück und es ist, als wären wir immer hier. Es gibt keine Kinder, keine Familie, keinen Job. Jeder steht mitten im Abi und verbringt sein Leben feiernd, jobbend, liebend und auch ein bisschen leidend.

Was bringt das Leben?

Wir wissen noch nicht, wie es ist, das große weite Leben. Was wir wollen, ist uns nicht klar und auch was geht, hat uns noch niemand verraten. Können wir wirklich Wissenschaftler werden? Kannst du mit deinem Engagement wirklich etwas verändern? Oder arbeiten wir einfach nur, um das zu finanzieren, was wir Leben nennen? Wer bleibt zusammen, wer findet die große Liebe und was heißt eigentlich Freundschaft? Ist es das, was wir haben – jetzt 2017? Oder war es das damals? 2003.

Jeder denkt ein bisschen an alten Lieben, alte Freundschaften und alte Träume, an diesem Abend vor Weihnachten. Und ein bisschen hört man in dem ein oder anderen Satz ein “Was wären wenn…“ heraus. Über manche Entscheidungen ist man glücklich und manche hinterfragt man. Auch noch nach 10, 12 oder 20 Jahren. Manche Entscheidungen konnten wir nicht treffen, sie wurden für uns entschieden. Und dann ist es eben so und auch das ist gut. Aber was wussten wir schon damals? 2003.

Die Gegenwart vergessen

Heute ist eigentlich nichts mehr wie damals und doch fühlt es sich genau jetzt so an, am Abend vor Weihnachten. Wir kommen nicht mehr in Mamas Auto, haben nicht mehr den rostigen Opel oder werden von unserem proletischen Freund gefahren, der genau wissen will, wann wir wo sind. Wir sind anders als damals und doch noch dieselben. Oder nicht?

Eigene Autos, der Kindersitz auf dem Fahrrad, der Ehering am Finger: Es sind die Details, die uns verraten. Außenstehende wurden es nicht als Details ansehen, sondern als große Veränderungen. Als “den nächsten Schritt”. Doch für uns ist es in dem Moment nur eine kleine Erinnerung an das, was uns morgen wieder erwartet. Kinder, Partner, fordernder Job. Jetzt, in dem Moment, sind wir Freunde wie vor 14 Jahren. Die, die abends zusammen sitzen, laut lachend und verschwörerisch Psst machen, wenn jemand Fremdes uns zuhört.

Bist du der, der immer hier ist?

Wir sind wieder die, die zusammen feiern und in die Bar weiterziehen. Die einzige, die es noch gibt in unserer Heimat. Die Bar, die nicht sehr oft auf hat, aber am Abend vor Weihnachten. Wir ziehen weiter und sprechen über die Vergangenheit. Doch wenn wir so zusammen sind, sind unsere Erinnerungen so lebhaft, dass alles fast real wirkt. Der nervenden Lehrer, die aufregenden Klassenfahrten, die Probleme mit der besten Freundin und die enttäuschte Liebe, die uns sitzen ließ. Nichts ist vergangen, es wirkt als wären wir mittendrin. 2003.

Und als wir dann die Bar betreten, sind da die, die immer da sind. Ob 2003, 2005 oder sogar später. Und hinter der Bar stehen die, die uns schon unseren ersten Drink verkauften und vielleicht auch mal einen zuviel. Daneben stehen die Typen, die immer am Rand stehen und das Geschehen beobachten. Man sieht ihnen ihren Spaß nicht an, aber innerlich toben sie bestimmt. Warum sonst sollten sie da stehen, seit 2003? Und während wir zusammen sind, lachen, trinken und erinnern, klopft doch das echte Leben wieder an, das von 2017. Es erinnert uns daran, dass wir nicht bis in die Puppen schlafen können, um uns dann mit Kater und Fahne zu den Eltern an den weihnachtlichen Kaffeetisch zu setzen. Die Kinder, die uns sehr früh wecken, die gab es nämlich 2003 noch nicht. Und langsam ist die Zeitreise vorbei, wir werden wach und denken nicht mehr an die Vergangenheit. Wir verabschieden uns und doch denken wir schon an das kommende Jahr.

An den Abend vor Weihnachten 2018 zusammen.

1 Kommentar

  1. liebe bella, so wahr dieser post. mir ist aufgefallen, das es mehrere solche „flashbacks“ gibt, seit man mama ist. seitdem erinnert mich soviel an meine eigene kindheit und dann fühlt man sich manchmal genauso wie damals. kann deine gedanken und gefühle nachvollziehn. oder man sieht den alten klassenvorstand, hat klassentreffn in der alten schule. fühlt sich total in damals zurückversetzt. denkt dran, was man damals werdn wollt, welchn schwarm man hatte. ein gefühl aus freude, traurigkeit (weil es schon vorbei ist) … als ob die zeit stillsteht und dann fragt man sich doch, wo die vielen jahre zwischen damals und jetzt hingeflutscht sind.

    guten rutsch und ein tolles neues jahr!!!

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