Moment, da war doch noch was: Gedanken zur Klimakrise in Zeiten von Corona

23. April 2020
familieberlin
Nachhaltigkeit

Gastbeitrag

Vor ziemlich genau einem Jahr: Ich stehe auf der Wiese vor dem Theater. Die Einjährige im Buggy schaut sich neugierig um und strampelt mit den Füßchen. Was es hier alles zu sehen gibt: So viele Menschen. Sie grölen, sie hüpfen und viele haben bunte Schilder dabei. „The world is changing, so why aren´t we?“ steht darauf. Und „Wir sind laut, weil ihr uns die Zukunft klaut!“, daneben eine Erdkugel, die schmilzt wie eine Vanilleeis bei 30 Grad im Schatten. 

Ich erinnere mich an dieses Gefühl des Aufbruchs

Eine Büchse geht herum. Das Mädchen neben mir wirft ein Zweieurostück hinein. Es klimpert. Als die Sammelbüchse bei mir ankommt, stopfe ich einen Zwanziger in den Schlitz und ernte überraschte Blicke. „Wow, danke“, sagt der junge Mann, der die Büchse anschließend weiterreicht. Spätestens jetzt habe ich mich geoutet, denke ich. Dabei sieht man mir wohl ohnehin an, dass ich keine von ihnen bin. Keine Schülerin, keine Studentin sondern eine mit einem ordentlich bezahlten Job. Eine von den Alten. 

Die Lautsprecher fiepen schrill. Ich halte mir kurz die Ohren zu, meine Tochter quengelt. Auf der Bühne steht eine Frau um die siebzig. Es ist eine Vertreterin der „Omas for Future“ – einer Organisation, die sich ähnlich wie die Parents for Future solidarisch erklärt mit der Fridays for Future-Bewegung. Sie spricht über Schuld und darüber, dass sie der jungen Generation dankbar sei, dass sie ihr die Augen geöffnet habe. Dass sie und ihre Altersgenossen so vieles falsch gemacht hätten und dass ihr das von Herzen leid täte. Sie ist vermutlich 30 Jahre älter als ich, und dennoch finde ich mich in ihren Worten wieder, sie berühren mich. 

Es grüßt die „Generation Weltreise“

Das war vor einem Jahr. Mein erster globaler Klimastreik, am 24. Mai 2019. Ich erinnere mich genau: An die Bilder, die Gesichter, die Geräusche aber vor allem an die Emotionen. An dieses Gefühl des Aufbruchs, daran, gemeinsam mit diesen vielen Menschen, etwas bewegen zu wollen. Und gleichzeitig wusste ich, dass ich versagt hatte. Dass ich viel zu spät erkannt hatte, dass auch in meinem Leben etwas grundlegend falsch lief.
Ich bin fast vierzig. Meine Generation hat Fern- und Weltreisen zur Normalität werden lassen. Nach dem Abi oder während des Studiums ein Jahr Auszeit, um die Welt zu entdecken, gehörte für viele in den perfekten Lebenslauf. 

Wir sind die Generation, die  Mode zur Wegwerfware hat werden lassen. Die die H&M und Zara groß gemacht hat. Ich erinnere mich an Zeiten, in denen es in meiner Heimatstadt keinen H&M gab. Heute undenkbar. 
Wir sind die Generation, die lange dachte: Wenn du einen Sportwagen fährst, dann hast du es geschafft. Oder zumindest einen SUV, Schneller, höher, weiter – das war unser Motto. Jetzt haben viele von uns Kinder und plötzlich machen sich Sorgen breit. Wir reduzieren Plastik, kaufen Bioprodukte, fahren Fahrrad, essen weniger Fleisch und schütten Hafermilch in den Kaffee. Alles wichtig und richtig. Ja, jeder Schritt zählt. Aber dennoch bleibt bei mir dieser fade Beigeschmack, jahrzehntelang mitgespielt zu haben in dem Konsumzirkus, der die Erde ausquetscht hat wie eine Zitrone. 

Die Angst vor dem Klimawandel ist der Angst vor dem Virus gewichen

Ich erinnere ich mich gerne an diesen 24. Mai 2019 und die Demonstrationen, die danach folgten. Es lag so viel Energie in der Luft. Die Fridays for Future-Bewegung war im Aufschwung, der Klimawandel in aller Munde. Dieses Gemeinschaftsgefühl. Man hatte etwas, gegen das man vereint kämpfen wollte: Die Erwärmung der Erde. Undenkbar, dass ein Jahr später ein ganz anderer gemeinsamer Feind unser Leben bestimmen würde:  Das Wort Corona kennen hier auch die Kinder. Sie wissen, dass sie nicht in die Schule und in die Kita gehen können – wegen Corona. Dass der Spielplatz abgesperrt ist – wegen Corona. Und dass sie Oma und Opa nicht treffen können – wegen Corona. Die Angst vor dem Klimawandel ist der Angst vor dem Virus gewichen. Verständlich. Die Bedrohung ist groß, real und ist in den letzten Wochen unaufhaltsam und rasant gewachsen. An Demonstrationen ist nicht zu denken. 

Ich bin keine Psychologin, aber ich befürchte, in unserem Gehirn ist kein Platz für zwei große Bedrohungen. Wird der Klimawandel unaufhaltsam weiter voranschreiten, weil die Welt keine Kraft hat, an zwei Fronten gleichzeitig zu kämpfen? Das Virus und dessen fatale Folgen und die Erderwärmung zeitgleich zu stoppen? Werde ich mit siebzig dastehen und meinen Enkeln erzählen, dass ich eigentlich wusste, was mit der Erde geschieht? Dass ich einst auf die Straße gegangen bin für eine andere Klimapolitik? Aber dass wir damals, als noch Zeit war, andere Probleme hatten? Dass es mir von Herzen leid tut? 

Ich hoffe nicht.

Gastbeitrag von Regine

Die dreifache Mutter versucht seit knapp zwei Jahren, ihr Leben nachhaltiger zu gestalten. In manchen Bereichen klappt das besser, in anderen tut sie sich noch schwer. Eines ihrer Steckenpferde ist das Thema nachhaltiger Modekonsum. Während sie früher ausgiebig geshoppt hat und bergeweise Klamotten anhäufte, kommt sie heute problemlos mit nur dreißig Kleidungsstücken zurecht.Auf Instagram ist Regine als @trend.detox unterwegs.

Gastbeitrag von Regine
Die dreifache Mutter versucht seit knapp zwei Jahren, ihr Leben nachhaltiger zu gestalten. In manchen Bereichen klappt das besser, in anderen tut sie sich noch schwer. Eines ihrer Steckenpferde ist das Thema nachhaltiger Modekonsum. Während sie früher ausgiebig geshoppt hat und bergeweise Klamotten anhäufte, kommt sie heute problemlos mit nur dreißig Kleidungsstücken zurecht.Auf Instagram ist Regine als @trend.detox unterwegs.

Dieser Text ist ein Beitrag zur Blogparade „Wir fürs Klima!“ von mumandstillme

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