Nein, einfach ist es nicht! Bedürfnisorientiertes Zusammenleben mit Kindern

27. März 2018
familieberlin
Gedanken

Auf den ersten Blick haben Eltern grundsätzlich nur eine Gemeinsamkeit: Sie haben mindestens ein Kind. Wie sie mit diesem umgehen, wie sie als Menschen ticken und welche Werte sie leben, kann so unterschiedlich sein wie Tag und Nacht. Manche Mütter haben einen ähnlichen Umgang mit ihren Kindern, und sei es nur das Grundsätzliche. Ich zum Beispiel habe vorwiegend Menschen um mich, die eine ähnliche Grundeinstellung zu ihren Kindern haben. Ich lerne von ihnen, sie von mir. „Was würde Bella jetzt machen?“ „Wie würde Andrea reagieren?“ „Was bin ich froh, dass Suse die Situation auch kennt.“ Doch auf den ersten Blick weißt man nie, wie andere Mütter ticken. Wie auch?

Sich fremde Mütter, ein ähnlicher Umgang

Kürzlich traf ich mich mit Jennifer und Lori in Berlin. Jennifers kleinste Tochter war unruhig, übermüdet oder schlecht drauf. Man weiß es nicht bei so kleinen Kindern. Das Ergebnis war jedoch passend für jeden Unmut: sie wollte auf Mamas Arm und nirgendwo anders hin. So weinte sie, wann immer sie im Wagen weiterschlummern sollte und war nur entspannt, wenn sie bei Mama war. Jennifer meinte darauf: „Eigentlich würde ich lieber entspannt meinen Kuchen essen.“ Aber sie tat es nicht. Sie reagierte auf das Bedürfnis ihrer Tochter; was in dem Moment so viel größer war als ihr eigenes nach einem Stück Kuchen ohne Kind auf dem Schoß. In dieser Situation waren wir alle drei derselben Meinung: es ist gut so. Drei Mütter, die in dem Moment ähnlich tickten und sich bestärkten. Es ist nicht selbstversätndlich. Wie oft saß ich zwischen Menschen, die meinten, eine bessere Lösung im Umgang mit meinen Kindern parat zu haben. Würde ich sie schreien lassen, lernten sie ihre Grenzen schneller. Würde ich sie bestimmter ansprechen, wäre ich schneller am Ziel und ein Klaps könne vielleicht schon viele Probleme im Keim ersticken.

Doch das ist nicht mein Weg. Ich möchte meinen Kindern nicht permanent meine Meinung aufdrücken und ihnen vorschreiben, wie sie zu funktionieren haben. Ich möchte ihre Wünsche nicht unterdrücken und damit vielleicht die ein oder andere kreative Lösung verpassen, die sie sich ausdenken. Ich möchte, dass meine Kinder nicht den Eindruck bekommen, sie müssen nur funktionieren und permanent nach meiner Pfeife tanzen. Das ist nicht mein Weg und auch nicht der von Jennifer und Lori, wie ich an an diesem Tag lernte. Wir kamen ins Grübeln und Reden, über diesen Weg, auf die Bedürfnisse der Kinder einzugehen.

Bedürfnisorientiert.

Reden, trösten, reagieren: auch nachts

Wir sprachen darüber, dass er anstrengend ist. Der Weg, den wir im Umgang mit unseren Kindern wählen, ist nicht einfach. Denn er kostet viel Zeit, Kraft, Geduld und Verständnis. Für die Kinder, ihr Alter, ihre Schritte und ihre Entscheidungen. Aber auch für uns, unsere Entscheidungen und unsere Nerven.

Wir reden mit unseren Kindern, vielleicht mehr als nötig. Wir bitten dreimal um etwas, eh wir bestimmter werden. Wir lassen Möglichkeiten, Freiräume und auch Zeit. Wir sitzen Wutanfälle aus, ohne sie mit unserer eigenen Wut zu verkürzen. Wir lassen Gefühle zu, denn sie gehören zum Leben. Wir halten die Hand, die uns eben noch wütend geboxt hat und trocknen die Tränen, deren Ursache manchmal nicht klar ist. Wir trösten zu jeder Tageszeit – auch nachts, auch mehrmals. Wir erklären Dinge…oft. Denn warum soll man beim ersten Mal verstehen, dass es draußen kalt ist. Und wenn es nötig ist, stehen wir morgens um 7 Uhr alle im Schlafanzug auf der Terasse und gucken, ob es wirklich kalt genug für Wintersachen ist. Ist es, aber nur weil Mama es sagt, haben es Kinder nicht gelernt. Wir gehen mit Phantasie und Feingefühl auf Ängste ein und akzeptieren es, wenn tagelang nur trockene Nudeln gegessen werden.

Es ginge bei weitem einfacher und in vielen Situationen schneller. Für uns. Doch ist es das Richtige?

Wege, mit denen Kinder schneller funktionieren könnten

Jeder von uns kennt sie. Die Erfahrungen der eigenen Kindheit. Die Nachbarin im Hof, die ihr Kind schon früh zum durchschlafen anhalten will. Die Bekannte, die ihren Kindern auf den Po oder die Finger haut und der Freund, der meint, auch Kleinkinder können schon Disziplin erlernen, wenn man sie als Strafe in die Ecke stellt.

Glaubt man diesen Menschen, funktioniert das doch, denn das Kind verhält sich angemessen und hat schnell gelernt. Doch was hat es gelernt? Mama hat das Sagen – ausschließlich. Das Kind funktioniert. Aber muss es das? Ist das mein Ziel im Zusammenleben mit meinen Kindern? Klar ginge es einfacher, würde ich meine Kinder morgens packen und ihre Sachen anziehen. Mit festem Griff und scharfen Worten wären wir bei weitem schneller fertig für den Tag und ich am Ziel…wenn ich meine angezogenen Kinder als Ziel ansehe.

Bist du perfekt um Umgang mit deinen Kindern?

Ich bin nicht gefeit vor Fehltritten im Umgang mit meinen Kindern und ich lasse ihnen auch nicht alle Freiheiten der Welt. Bei Straßen, Steckdosen und anderen Gefahren sind ihre Freiheiten nicht vorhanden. Auch dürfen sie nicht machen, was sie wollen und Möbel anmalen, Menschen hauen oder beleidigen. Auch ich werde mal laut und ja, Geduld ist leider keine meiner Tugenden. Im Gegenteil. Doch merke ich, dass die Situation meinerseits aus dem Ruder läuft, dass ich vielleicht sogar schon etwas falsch gemacht habe, stelle ich mir selbst einige Fragen. Denn auch meine Reakion mag nicht richtig sein, wie das Verhalten meiner Kinder vorher. What goes around, comes aroung.

Möchtest du, dass so mit dir umgegangen wird?
Sei es heute als Erwachsene als auch damals als Kind: Wie würdest du dich fühlen?
Würdest du auch so reagieren, wärst du mit den Kindern in der Öffentlichkeit?
Diese Worte sagen, laut werden oder gar handgreiflich?
Warum nicht? Was hält dich ab, wenn es doch in deinen Augen richtig wäre und zum gewünschten Ergebnis führt.

Meine Fehltritte als Mutter

Wie gesagt, ich bin nicht perfekt, ich gebe es zu. Ich reagiere auch laut auf bestimmtes Verhalten, ich verfalle in (wirklich!) sinnlose Wenn-Dann-Sätze und habe auch schon gedroht, den Sandmann zu verkaufen. Lacht nicht, das Kind war schokiert. Doch am Ende habe ich den „Erfolg“ meines Verhaltens gesehen: Das Kind steigerte sich in meine Drohungen rein, bekam Angst oder war einfach nur erschrocken von Mama. Ich war bestürzt, als ich in die Augen meines Kindes sah, das vor Angst zusammen zuckte, als ich einmal wirklich laut wurde. In diesen Momenten frage ich mich: Ist dieser Blick und die Angst es wert, dass mein Kind funktioniert? Ist es besser, dass mein Kind Angst hat, weil es ein für mich einfacherer Weg ist?

Denn nein, in der Öffentlichkeit hätte ich manche Dinge nicht gesagt. Und bei mir geht es wirklich nur um recht harmlose Worte, denn beleidigend oder handgreiflich würde ich nicht mal hinter 1000 verschlossenen Türen werden. Doch auch Worte können weh tun. Und schon an Worten merke ich, dass ich so kein Vorbild für mein Kind sein kann. Wenn ich merke, was mich in Situationen selbst aus dem Ruder laufen lässt, merke ich, wie anstrengend er wieder ist, dieser Weg.

Bedürfnisorientiert.

Nein, einfach ist es nicht. Aber ich merke, dass es gut ist – für die Kinder und auch für mich. Denn Familie ist nicht nur eine Einbahnstraße, deren Richtung von uns Eltern vorgegeben wird. Es ist ein Miteinander, in der jeder etwas entscheiden darf, jeder ernst genommen wird, jedes Gefühl erlaubt ist und eben auch jeder Vorbild sein soll – für jeden anderen in der Familie.

5 Kommentare

  1. Danke für diesen tollen Text!

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    • Immer gern, ich glaube, manchmal macht man sich sonst zu viele Gedanken. Der Weg ist der Richtige!

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  2. Dankeschön! Herzensding….

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  3. Ich erziehe mein Kind nicht nach irgendwelchen Konzepten, Büchern oder Wertvorstellungen anderer. Wir erziehen unser Kind liebevoll auch mit Grenzen setzen, die Frage ist nur wie versteht mein Kind es am besten ohne viel Macht und Angst aufzubauen. DANKE für den schönen Text♥
    Ich stell mir nur die Frage ob es anders wirklich einfacher wäre? wäre es einfacher mein müdes Kind, welches bei.mir sitzen möchte, mit viel Druck in den.Kinderwagen zu setzen, wenn das Kind dann gekränkt ist und überhaupt drinnen bleibt und ruhig ist? Kann ich wirklich so ruhiger meinen Kuchen.essen? Oder schaffe ich Raum um mein müdes Kind in den.armen zu halten, liebe zu schenken und.meinen Kuchen zu essen? Es gibt viele unterschiedliche Möglichkeit. Doch ob Druck.und Angst.macherei einfacher ist….da bin ich mir nicht sicher!

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    • Liebe Sophie, danke für deine Worte. Ich glaube, dass es für Eltern schon einfacher ist, wenn das Kind sich irgendwann nicht mehr traut, DInge zu sagen oder Bedrfnisse zu äußern. Weil diese irgendwann so ignoriert oder klein getan wurden, dass sie nicht mehr geäußert werden. Aber das ist nur eine Theorie meinerseits…wer weiß. LG Bella

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