„Gib der Tante einen Kuss“ – Über Grenzen und Intimität

12. März 2017
familieberlin
Familienleben | Kleinkind

„Gib der Tante doch noch einen Kuss. Ich gehöre doch zur Familie, da küsst man sich.“ Wenn ich diese Sätze höre, fange ich innerlich an zu kochen. Denn ich kenne sie, gut. Ich selbst habe sie als Kind oft gehört, manchmal gepaart mit Bedingungen und Erpressungen. „Wenn ich keinen Kuss kriege, gehe ich zu xy und küsse die!“ XY konnte jeder sein, der mir wichtig war. Meine Oma, meine Erzieherin, meine Freundin. Diese Sätze fielen oft, in allen Facetten. Doch sie lösten in mir keine Eifersucht aus, sondern Angst. Angst davor, dass xy diesen Kuss auch nicht mochte und dann böse mit mir ist, schließlich bin ich Schuld. Ich fügte mich und gab der Person einen Kuss. Ist ja schließlich Familie.

Kinder ermutigen, Nein zu sagen

Meine große Tochter musste Sätze dieser Art auch schon hören. Wenn ich merke, dass jemand mit ihr so spricht, mische ich mich ein. Ich ermutige sie zu einem klaren Nein. Denn sie muss keine Angst haben und sich fügen. Ein Kuss ist etwas intimes, was man nur freiwillig gibt, immer! Denn es gibt Dinge, die soll mein Kind von klein auf lernen:

Nein heißt nein und wird gehört!

So wie ich ihr Nein akzeptiere, wenn es ums Essen geht, was sie nicht möchte oder um Kleidung, die sie nicht mag. Genauso respektiere ich ihr Nein, wenn es um Körperlichkeiten geht. Niemand möchte stets und ständig umarmt werden oder geküsst, egal von wem. So sehr ich selbst meine Kinder pausenlos knuddeln und knutschen könnte, weil sie so niedlich und toll sind, so ist es doch nicht möglich. Denn manchmal möchten sie einfach nicht. Dann stoßen sie mich weg, drehen sich um oder gehen fort. Das ist ok, denn ein Kuss ist etwas intimes und intim sein muss man wollen. Ob mit 3 Jahren, mit 16 oder mit 41. Familie ist kein Kriterium oder Freifahrtschein für einen Kuss.

Kinder können nicht oberflächlich sein

Ich selbst merke es, wenn ich meine Nichten sehe. Ich umarme sie intuitiv, denn sie sind mir wichtig. Bei 66 Prozent stoße ich aber auf Ablehnung. Mir wird die Hand gereicht oder ich werde mit einem Lachen weggestoßen. Früher dachte ich mir nichts dabei, heute versuche ich sie zu begrüßen, indem sie die Art der Begrüßung wählen. Reichen sie von sich aus die Hand oder breiten sie die Arme aus?

Gerade in Familie mag oft der Eindruck entstehen, dass man sich umarmen und küssen muss. Das mag vielleicht auch auf Erwachsene zutreffen, wenn eine Umarmung nur oberflächlich ist, weil man sich innerlich von einigen Familienmitgliedern distanziert. Doch Kinder können das nicht. So wie sie ihr Herz auf der Zunge tragen, so sind ihre Emotionen stets echt und ungeschönt. In einem Moment umarmen sie dich innig und fünf Minuten später bist du die doofe Mama, weil sie nicht noch mehr Schokolade bekommen. Es gibt keine Nuancen, zumindest nicht in den Gefühlen meiner dreijährigen Tochter. Ganz oder gar nicht, schwarz oder weiß, Held oder Feind.

Irgendwann habe ich mich übrigens als Kind gefügt. Dann hat die Großtante einen Kuss bekommen und sogar der schrullige Nachbar meiner Großeltern. Denn anscheinend macht man das ja so. Leider hat mich niemand ermutigt und gesagt, dass ich das nicht tun muss. „Du musst den Ingo nicht küssen, wenn du nicht willst.“ Umso mehr versuche ich meiner Tochter beizubringen, das zu sagen, was sie will. Aktuell hat sie dafür eine recht laute Art und teilt mir ihre Meinung in weinerlichem Gebrüll mit. Das passt nicht jedem, aber zumindest brüllt sagt sie, was sie will oder eben auch nicht.

Was gebt ihr euren Kindern mit auf den Weg, wenn es um ihre eigene Meinung geht?

Liebe Grüße
eure Bella

5 Kommentare

  1. Was das Küssen angeht, bin ich ganz bei dir, doch sollte nicht jedes „Nein“ auch von den Eltern als „Nein“ akzeptiert werden. Geht es nun darum, dass das Kind den blauen Pullover nicht anziehen will, sondern lieber den roten, ist es ok. Will es jedoch den blauen Pullover nicht anziehen, weil es meint ein T-Shirt reicht, um im Winter nach draußen zu gehen, dann ist das „Nein“ absolut inakzeptabel. Genauso, wenn es darum geht, dass das Kind ins Bett soll und es nicht will.

    Meinem Kind möchte ich mit auf den Weg geben, dass es immer auf seine Eltern zählen und ihnen vertrauen kann, egal was ist. Dass es geliebt wird, auch wenn es mal Mist gebaut hat und es Streit gibt. Klar baut der Kleine als Säugling noch keinen Mist. Trotzdem finde ich es jetzt schon oder gerade jetzt wichtig, dass er weiß seine Eltern sind für ihn da, egal wie doof die Welt gerade ist/scheint.

    Auch wichtig ist mir ihm beizubringen ehrlich zu sein. Schon meine Mutter sagte immer: „,Wer einmal lügt, dem glaubt man nicht und wenn er auch die Wahrheit spricht.“ Ehrlichkeit hängt unmittelbar mit Vertrauen zusammen. Einem Menschen, der in meinen Augen ehrlich ist kann ich vertrauen und mich Wohl fühlen. Lügner verursachen Unbehagen.

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  2. Solange meine Kinder sich mit ihrer Meinung nicht selbst schaden respektiere ich diese voll und ganz.
    Mein 7jähriger hatte z.B. eine Phase wo er so mäklig wurde, das er sich quasi nur noch Toast mit Ketchup gegessen hat, abgewechselt wurde nur ab und zu mit Marmeladen- oder Nutellatoast. Da habe ich dann eingegriffen und gesagt „so geht es nicht, das schadet dir“
    Manchmal ist es gar nicht so einfach diese Meinung auch gegen die Außenwelt zu verteidigen. Gerade Schulkinder sollen einfach funktionieren, im System mitschwimmen, nicht stören, sich fügen. Selbst hinterfragen wird schon als Aufbegehren eingestuft.
    Ich bin immer an der Seite meiner Kinder und versuche ihnen zu vermitteln das ihre Meinung wichtig ist, gehört wird, das die der anderen aber eben auch und das es manchmal schwierig ist das alles unter einen Hut zu kriegen und das dies eben auch bedeuten kann, das niemand so recht zufrieden ist mit dem Ergebnis.

    Gerade was die eigenen Körpergrenzen angeht erlebe ich besonders in der Schule leider das dies nicht alle Eltern so sehen.
    Ein „Halt Stopp! Ich will das nicht!“ wird bei Schulhofjagden oft ignoriert und spricht man es an bekommt man „Jungs/Kinder sind halt so“ zu hören. :/

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  3. Dankeschön für diesen wichtigen Text! Ich sehe es genau wie du. Bei mir gab es früher eine Tante, die uns immer an ihre – nun ja – wirklich großen Brüste gedrückt hat. Das war als Kind super unangenehm und ich habe mir gemeinsam mit meiner Cousine Tricks ausgedacht, wie wir diese körperliche Begrüßung umgehen können.
    Bei unserem Baby achten wir darauf, ob es gerade wirklich geschmust oder gekitzelt werden möchte. Mir war es auch von Anfang an wichtig, ihm nicht einfach jemanden in den Arm zu geben, zu dem er vielleicht gerade gar nicht möchte. Egal ob das meine eigenen Eltern oder eine gute Freundin war.

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  4. Mir als mama ist auch wichtig, das sie ihre wahrheit leben dürfen und behalten dürfen. ich erkähre ihnen nicht die welt, denn sie leben in ihrer welt und dürfen das auch. aus diesem grund finde ich die schule so schlimm. sie tut so als gäbe es nur die eine wahrheit und alles funktioniert nach dieser wahrheit und was die kinder sagen stimmt nicht.

    ich korrigiere mein kind nicht, das etwas anders ist wie es gesagt hat. und auch bei kinderfragen antworte ich nicht. ich stelle gegenfragen, oder frage das kind selber was es dazu denkt. und ich bewerte diese antwort das das kind mir dann gegeben hat nicht. für das kind ist dies die wahrheit im moment. natürlich kann es sein das das kind nach 2 wochen wieder zu mir kommt und mich aufklärt und sagt, mama das hat ja gar nicht gestimmt was ich dir letztens erklährt habe, und erzählt mir aufs neue wie es jetzt darüber denkt, und dann bin ich da und höre zu.

    dies zählt auch bei offensichtlichen sachen. wenn das kind zu blau rot sagt, ist das völlig in ordnung, dann ist eben rot blau und blau rot. ich korrigiere dies nicht. denn wie ich oben schrieb, jeder lebt in seiner welt und auch farben sind relativ. genau so wie alles relativ ist.

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  5. Hallo Bella, mit hat deinen „Kuss Artikel“ sehr gut gefallen. Ich denke wie du. Mann muss nie Kinder zwingen um einen Kuss jemanden zu geben. Egal von der Familie oder Nachbarn.

    Liebe Grüße aus Ludwigsburg

    Elisabet*

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